Zur pädagogischen Bedeutung des Kinderspiels.

In den letzten Jahren schätzen immer weniger Erwachsene die Bedeutung des Kinderspiels, weil Kinder dabei ihrer Meinung nach zu wenig lernen. Vor allem die vergangene und gegenwärtige PISA-Diskussion trägt erheblich dazu bei, dass in der Pädagogik der „Förderfaktor“ immer stärker in den Vordergrund rückt. Das Spiel wird zunehmend als eine nutzlose Zeitverschwendung eingeschätzt, als ein überflüssiger und zu vernachlässigender Zeitvertreib der Kinder.

Ohne Frage ist damit seine hohe entwicklungspsychologische Bedeutung vielerorts auf dem Nullpunkt angelangt. Immer seltener sind sich Eltern – und leider auch vermehrt viele Fachkräfte – der Tatsache bewusst, dass Kinder sich beim Spielen die Fähigkeiten aneignen, die sie später einmal für eine aktive und selbstbewusste Gestaltung ihres Lebens brauchen. Viele wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse zeigen, dass erstens das Spiel den Erwerb schulischer Fähigkeiten vorbereitet und es zweitens von entscheidender Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist.

Spielen ist keine angeborene Tätigkeit von Kindern. Vielmehr bringen Kinder – das ist genetisch bedingt – ein außergewöhnliches Interesse für ihr Umfeld mit auf die Welt. Durch die alltäglichen Sinnesreize wird nun die Aufmerksamkeit der Kinder für diese „Welteindrücke“ aktiviert und sie interessieren sich für alle Dinge, die sich bewegen, Töne erzeugen oder die besonders intensiv riechen. Dabei merken sie, dass man mit diesen Dingen etwas machen kann. Aus dieser Neugierhaltung heraus entstehen Spielhandlungen: Ein Ball hüpft auf dem Boden, und das Kind will ihn greifen, fängt ihn ein, lässt ihn wieder fallen, verfolgt den Lauf mit den Augen, rennt dem rollenden Ball hinterher, stupst ihn mit dem Fuß an. So entwickelt sich nach und nach eine Spielhandlung, die sich aus unendlich vielen Einzeltätigkeiten zusammensetzt.

Ob und wie stark sich das Spiel entwickeln kann. hängt von der Sprache der Erwachsenen, der Bewegung, dem Raum, den erlebten Gefühlen, den begreifenden (haptischen) Erfahrungen und der Eigenart des „Spielzeugs“ ab. Spielen entsteht aus aktiven, eng miteinander vernetzten Erfahrungshandlungen – mit den eigenen Körperteilen, mit Gegenständen unterschiedlichster Art und vor allem in einer angenehm erlebten Beziehungsatmosphäre. Im Spiel eigenen sich Kinder nebenbei ein lebendiges räumliches, physikalisches und mathematisches Wissen an.

Beobachtet man die Auswirkungen des Spiels im Hinblick auf den Aufbau von spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder, kommen spielwissenschaftliche Forschungen zu folgenden Ergebnisse:

  • Kinder, die umfassende Spielerfahrungen gemacht haben, haben mehr emotionale Kompetenzen, verarbeiten Enttäuschungen besser, besitzen eine höhere Frustrationstoleranz und sind optimistischer.
  • Im sozialen Bereich fällt auf, dass spielfähige Kinder in Gesprächen besser zuhören können und sie weniger Vorurteile haben, auf Konfliktsituationen vielfältig reagieren können, hilfsbereiter sind und ein geringeres Aggressionspotential an den Tag legen.
  • Im motorische Bereich fallen eine höhere Selbstaktivität, eine raschere Reaktionsfertigkeit, eine differenziertere Grob- und Feinmotorik und eine bewusstere Kontrolle eigener Handlungstätigkeiten auf.
  • Im kognitiven Bereich sind spielkompetente Kinder konzentrationsfähiger, besitzen ein ausgeprägtes kausales Denken und einen umfassenden Wortschatz.

Ein Vergleich mit geforderten Schulfähigkeitsmerkmalen lässt Fachleute daher zu dem Schluss kommen, dass Spielfähigkeit eine wesentliche Vorraussetzung dafür ist, schulreif zu werden.

Kognitionspsychologen betonen daher immer wieder, dass wichtige kognitive Lernprozesse sich gerade in kommunikativen Situationen vollziehen, die nicht auf Lernziele ausgerichtet sind. Und das Spiel stellt genau solche vielfältigen Interaktionssituationen im Alltag dar.

Freuen wir uns also, wenn unsere Kinder viel und gerne spielen, wenn sie sich mit anderen beschäftigen können, geben wir ihnen den Raum und vor allem die Zeit und Gelegenheit, ins Spiel zu kommen. Und spielen wir selber einmal mit, um ein Spiel „anzukurbeln“. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten und dort, wo Spielfreude vorherrscht, springt der Funke wie von selbst auf Kinder über. Im Vordergrund darf nicht ein Förder- bzw. Schulungsgedanke stehen. Zweck des Spiels ist Spannung, Freude, Erfahrung, Austausch und Verarbeitung von Erlebnissen.

Wann haben Sie das letzte Mal gespielt?

Anne Lang

nach einem Artikel von Dr. Armin Krenz in „Kinderzeit „4/2007-12-09 und Autor des Buches „Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Cornelsen Scriptor 2007

Buchempfehlung: Gabriele Pohl: Kindheit – aufs Spiel gesetzt. Dohrmann Verlag 2006